Albino-Wasserschildkröten und andere Farbzuchtformen

Zuchtformen

Werden Schildkröten (oder andere Tiere) gezielt zur Zucht ausgewählt, so entstehen Zuchtformen mit bestimmten Merkmalen (z. B. Albinismus). Dabei werden durch Kreuzungen und Selektion der Jungtiere, oftmals unter Berücksichtigung der Genetik, die Erbfestigkeit eines gewünschten oder zufälligen Merkmals angestrebt. Eine Zuchtform unterscheidet sich von der Wildform in mindestens einem vererbbarem Merkmal von der in der Natur vorkommenden Wildform. Die gezielte Vermehrung von Zuchtformen steht bei Schildkröten aufgrund ihrer relativ späten Geschlechtsreife noch am Anfang.

Sogenannte Clown-Zuchtform der Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans)

Mit der Gelben Sumpfschildkröte (Mauremys mutica) wurden Versuche zur Zucht von Albinos ausführlich dokumentiert (REN et al. 2020). Ausgangspunkt war eine weibliche Albino-Schildkröte die mit einem normalfarbigen Männchen verpaart wurde. Es wurden jeweils verwandte Schildkröten einer Generation verpaart. In den ersten beiden Generationen (F1 & F2) wurden keine Albinos beobachtet. In der F3-Generation lag die Albino-Rate unter den Schlüpflingen bereits bei 21.4-28,8 %. In der fünften Generation (F5), die durch die Verpaarung von zwei Schildkröten aus der vierten Generation (F4 x F4) entstand, waren bereits 61,5-95,8 % der Schlüpflinge Albinos. In Bezug auf Geschlechtsreife, Wachstum und Nachzuchtparametern unterschieden sich Albinos und normalfarbige Schildkröten nicht.

Bei Albinismus fehlt das dunkle Pigment Melanin im Körper, so dass die Schildkröten gelblich erscheinen. Für die gelben und roten Anteile der Färbung einer Schildkröte sind Carotinoide und Pteridine zuständig, diese haben Albinos weiterhin. Albinos haben rote Augen, da die Iris pigmentlos ist und das rote Blut hindurchscheint.

Fun Fact: Bei Albinismus fehlt Melanin völlig, das Gegenteil davon ist eine höhere Melanin-Menge: Melanismus

Wildformen

Die meisten als Haustier gepflegten Schildkröten entsprechen weitestgehend der Wildform. Zumindest phänotypisch, also sie sehen aus wie die wildlebenden Exemplare und verhalten sich auch so. Inwieweit über Gendrift der Genotyp (also die Erbinformation sprich die genaue Zusammensetzung der Gene einer Schildkröte) noch der Wildform entspricht sei einmal dahingestellt.

Bei der Pflege und Zucht von Schildkröten kommt es nämlich zwangsläufig zum Gendrift. Gendrift bezeichnet die zufällige (unbeabsichtigte) Änderung der Gene einer Population (in unserem Fall die Population der als Haustier gepflegten Schildkröten). Es kommt bei der Zucht von Schildkröten zum Flaschenhalseffekt, da nur ein kleiner Teil der Wildpopulation als Ausgangsschildkröten für die Zucht von Heimtierschildkröten zum Einsatz kam, kommt es zur Verkleinerung der genetischen Vielfalt und einige Gene der Wildschildkröten kommen bei unseren als Haustier gepflegten Schildkröten gar nicht mehr vor.

Der Panzer von Gewöhnlichen Moschusschildkröten (Sternotherus odoratus) ist auch in der Natur nicht bei jedem Tier gleich gefärbt. Die helle Variante ist dennoch eine durch gezielte Verpaarung entstandene Zuchtform.

Wild- und Zuchtformen sind in der Terraristik gleichberechtigt

Es gibt zwei Strömungen in der Terraristik. Bei Königspythons, Kornnattern und Leopardgeckos werden viele Farbzuchtformen gepflegt und gezielt gezüchtet. Die Wildfarbe ist nahezu unvermittelbar. Auf der anderen Seite gibt es Terrarianer die die Pflege und Zucht von Farbformen meiden wie der Teufel das Weihwasser. Beide Seiten sehen mit Verachtung auf die andere. Mit Blick auf die Politik, die die Haltung von sogenannten Exoten immer weiter einschränkt, sollten beide Parteien aber auch mal an einem Strang ziehen und Verständnis für die jeweils andere Seite haben.

Dabei unterscheiden sich beide Strömungen im Grunde eigentlich nicht. Durch fehlende Feinde, bessere Futterversorgung und nicht zuletzt die Auswahl der Zuchttiere durch den Terrarianer haben alle Wildformen von Schildkröten in der Terraristik die Tendenz zur Zuchtform. Es geht schon damit los, dass die Herkunft der Zuchttiere oftmals nicht ganz klar ist, eine männliche Gewöhnliche Moschusschildkröte (Sternotherus odoratus) aus Kanada würde in der Natur aber niemals auf ein Weibchen der gleichen Art aus Florida treffen.

Gesundheitliche Probleme von Zuchtformen

Es gibt Beobachtungen wonach albinotische Schildkröten durch ihre roten Augen vermehrt Augenprobleme haben und zu Hauterkrankungen neigen. So neigen Albino-Schildkröten zu Panzerveränderungen und Hautrötungen. Oftmals sind rotäugige Schildkröten auch relativ lichtscheu, werden sie daher mit reduzierter Beleuchtung oder gar in abgedunkelten Aquarien gepflegt, so kann es durch das fehlende UV-Licht zur Knochenerweichung kommen. Es wird daher diskutiert, ob es sich bei solchen Zuchtformen von Reptilien um Qualzuchten handelt (ÖFNER 2023). Bestimmte Albino-Zuchtlinien (t+ Albinos, also Tyrosin positive) von Gewöhnlichen Moschusschildkröten sollen mit neurologischen Ausfällen Probleme haben (HENTSCHEL, persönliche Mitteilung).

Albino der Chinesischen Weichschildkröte (Pelodiscus sinensis)

Bei Meeresschildkröten kommen auch gelegentlich Albinos vor. MADEIRA et al. (2020) fanden 30 Albinos der Grünen Meeresschildkröte (Chelodina mydas), die Schlüpflinge waren augenscheinlich gesund und sogar etwas größer als ihre normalfarbigen Artgenossen aus dem gleichen Gelege. Die jungen Meeresschildkröten zeigten keinerlei sichtbare Missbildungen, obschon es Berichte gibt, dass Albinos bei Meeresschildkröten meist in Verbindung mit anderen körperlichen Anomalien wie überzähligen Hornschuppen oder Schädeldeformitäten einhergehen.

Albinos und Co. im Tierheim

Die Verbreitung von Albinos und anderen Farbzuchtformen bei Wasser- und Landschildkröten scheint in Europa bisher gering zu sein, denn in der Vermittlung der Reptilienauffangstation in München spielen solche Schildkröten bisher kaum eine Rolle (TÜRBL 2023).

Gestaltmorphen

Durch Mutation gibt es bei Echsen und Schlangen Exemplare mit reduzierten oder gar vollständig fehlenden Schuppen und heißen dann zum Beispiel Leatherbacks, Silkbacks oder Scaleless. Bei Schildkröten sind solche Zuchtformen theoretisch auch möglich und bei einzelnen Exemplaren auch schon aufgetreten, aber die gezielte Zucht scheint bisher noch nicht richtig zu gelingen.

Gelegentlich und nur zufällig treten zweiköpfige Schildkröten auf. Gezielt gezüchtet werden sie noch nicht.

Literatur

Madeira, F. M., A. R. Patricio, B. Indjai, C. Barbosa, A. Regalla, P. Catry & R. Rebelo (2020): High Number of Healthy Albino Green Turtles from Africa´s Largest Population. – Marine Turtle Newsletter No. 160, S. 19-22.

Öfner, S. (2023): Erkrankungen bei Morphen -Wenn Zucht krank macht-. – Wissen schützt Tiere (Das Vereinsmagazin der Auffangstation für Reptilien, München), S. 6-9.

Ren, Z., K. Ren, S. Ren, B. Liu & Y. Zhao (2020): Successful Cultivation of Albino Mauremys mutica for the First Time. – Asian Agricultural Research 12(08): S. 65-68.

Türbl, T. (2023): Morphen in der Vermittlung. – Wissen schützt Tiere (Das Vereinsmagazin der Auffangstation für Reptilien, München), S. 10-11.